wald-agenda +++ hier wird eine neue Online-Kultur für den Erhalt und die gesellschaftliche Teilhabe von Wäldern begründet +++
„Das Wort für Welt ist Wald."
Ursula K. Le Guin, US-amerikanische Schriftstellerin, 1972
„Mit guten Fug und Recht können die Wälder vor eine Krone der Berge, vor eine Zierde der Felder, vor einen Schatz des Landes und vor eine mit Nutz vermengete Sinnen-Lust angegeben und gerechnet werden…“
Hannß Carl von Carlowitz, sächsischer Oberberghauptmann, in Sivicultura oeconomia - Naturmäßige Anweisung zur Wilden Baum-Zucht 1713; in Kapitel 7 hebt Carlowitz die große Bedeutung der Wälder hervor (S. 357)
„Wir tun im Augenblick das Schrecklichste, was man überhaupt tun kann, wir töten unsere besten Freunde, die großen Regenwälder. Die natürlichen großen Senken für Kohlenstoff, also die Wälder, aber auch die Ozeane, die könnten uns genau helfen, wenn wir sie gut behandeln, dass die Heißzeit nicht eintritt."
Hans Joachim Schellnhuber, deutscher Klimaforscher, zur Bedeutung der Wälder für das globale Klima bzw. als Puffer gegen die Erderwärmung, 2018
Aktuell Der Mann und das Moor Berlin/ Chorin 05.06.2021 Heute vor 90 Jahren starb Dr. Max Kienitz in Bad Freienwalde. Ihm ist es zu verdanken, dass die Moorlandschaft Plagefenn im heutigen brandenburgischen Landkreis Barnim bereits 1907 per Regierungs-erlaß geschützt wurde. Es war das erste geschützte Naturdenkmal im nordostdeutschen Raum. Nicht wenige bezeichnen es als das älteste Naturschutzgebiet Deutschlands. Wer von Berlin kommend die Autobahn A11 Richtung Stettin befährt, sie nach einer knappen Stunde hinter Finowfurt Richtung Chorin verläßt, noch die Dörfer Golzow und Britz passiert, sieht nach einigen Kilometern auf der Bundesstraße B2 links hinter dem Gehöft der Försterei Chorin plötzlich über einer Wiesenniederung die Westfassade des ehemaligen Zisterzienserklosters Chorin auftauchen, ganz erhaben und fast wie eine Fata Morgana. Nördlich des Querschiffes liegt der alte Klosterfriedhof. Hier befindet sich das Grab von Dr. Max Kienitz (1849-1931). Als Förster und Forstwissenschaftler stand Kienitz für die enge Verzahnung von forstlicher Theorie und Praxis: Er lehrte an der alten Forstakademie in Eberswalde inbesondere Botanik und Forstschutz und leitete die Choriner Oberförsterei wie auch den Forstgarten am Kloster. Auf beiden Stellen wirkte er 33 Jahre lang bis zu seinem 71. Lebensjahr. Man könnte vielleicht sagen, Kienitz war einer der letzten Universalisten der Forstwirtschaft. Er wirkte in der Zeit des Deutschen Kaiserreiches, die insbesondere von 1895 an bis zum Beginn der ersten Weltkrieges wirtschaftlichen Aufschwung und Wohlstand brachte. Industriealisierung und Verstädterung, aber auch das aufkommende kritische Bildungsbürgertum führten zu einer Rückbesinnung auf das Land und die Natur. Aus dem Bürgertum entstand etwa die Jugendbewegung des Wandervogel, der die Natur als Raum für die geistige und körperliche Entwicklung entdeckte. Kienitz dürfte diese gesellschaftlichen Strömungen gerade auch als Hochschullehrer, der ja ständig mit jungen Leuten in Kontakt war, gesehen haben. Jetzt wurde es offensichtlich wichtiger, den Wald eben nicht nur auf den Nutzen für die Holzproduktion oder etwa die Jagd zu verengen, sondern ihm auch davon losgelöst einen Selbst- oder Eigenwert beizumessen. Jedenfalls wird es Kienitz mit Recht zugeschrieben, den Naturschutz in die Forstwirtschaft eingebracht zu haben. Er entdeckte den hohen wissenschaftlichen Wert des Moores Plagefenn in der ihm anvertrauten Oberförsterei Chorin und bemühte sich erfolgreich darum, es nach damaligem Recht als Naturdenkmal (die Kategorie Naturschutzgebiet gab es noch nicht) unter Schutz stellen zu lassen. Damit erreichte Kienitz, dass diese 177 Hektar oder fast zwei Quadratkilometer großes Fläche aus Moor, Wald und kleinen Seen mit seltenen Tier- und Pflanzenarten für die Nachwelt erhalten blieb. Heute ist das Plagefenn als Totalreservat des Biosphärenreservates Schorfheide-Chorin ausgewiesen und umfasst mit einer Fläche von 290 Hektar den Großen und Kleinen Plagesee südlich von Brodowin. Erholungssuchende dürfen das Totalreservat nicht betreten, es gibt aber schöne Wanderwege, von der Besucher die Kernzone einsehen können. Kienitz war ein Kind einer Zeit mit recht großzügigen Möglichkeiten, die er auch zu deuten und zu nutzen wusste. Es mag sehr zu bezweifeln sein, dass nach 1914 in den Wirren des ersten und zweiten Weltkrieges und danach in der Zeit der Reparationsleistungen, des Wiederaufbaus und der zweier getrennter deutscher Staaten, eine visionäre Einheit von Wirtschaft und Naturschutz, wie sie Kienitz in der ihm anvertrauten Oberförsterei ganz praktisch erproben konnte, möglich gewesen wäre. Diese Gelegenheit bot sich erst wieder, zumindest für Ostdeutschland, direkt nach dem Mauerfall in der Endphase der DDR. So auch für das gesamte heutige Naturschutzgebiet Plagefenn: es reicht nun von den Plageseen bis an die Ortschaft Liepe und hat eine Fläche von 1.054 Hektar, also gut 10 Quadratkilomtern. Am 12. September 1990 wurde es mit dem letzten DDR-Ministerratsbeschluß gebildet. Kienitz starb 1931 kurz vor seinem 82. Lebensjahr in seinem noch erhaltenen Wohnhaus an der Berliner Straße in Bad Freienwalde. Es liegt gegenüber dem Haus der Naturpflege, dem ehemaligen Wohnhaus von Erna und Kurt Kretschmann, den Nestoren des Naturschutzes in der DDR. Wie hätten sich die beiden nacheinander in Bad Freienwalde lebenden Männer Kienitz und Kretschmann begegnet, wenn sie zeitgleich Nachbarn an der Berliner Straße gewesen wären? Heute jedenfalls kennzeichnet das schwarze Logo einer Waldohreule auf gelben, fünkeckigen Schild, das Kretschmann 1950 entwarf, auch das Naturschutzgebiet Plagefenn. Alfred Dengler, Schüler von Max Kienitz und ab 1921 sein Nachfolger als Leiter der Oberförsterei Chorin und im Lehrbetrieb der Forstakademie in Eberswalde, schrieb 1932 über seinen Lehrer: „Die forstliche Wissenschaft Deutschlands und darüber in der Welt wird seiner niemals vergessen können. Die Bausteine zum Denkmal seines Lebens hat er in seinen Werken selbst geformt.“ Und tatsächlich, wer heute in den Wäldern rund um Chorin unterwegs ist, kann hier die Handschrift der 33jährigen Tätigkeit von Max Kienitz von vor rund 120 Jahren noch erkennen. Sie entspricht sogar den Anforderungen des aktuellen Landeswaldprogramms von Brandenburg, das abwechslungsreiche Buchen- und Mischwälder für diese nährstoffreichen Endmoränenstandorte vorsieht. Damit zeigt sich nicht nur die lange zeitliche Perspektive, die die Pflege und Bewirtschaftung der Wälder benötigt, es schließt sich auch der Kreis, dass ein Anspruch langfristig erfolgreich umgesetzt werden kann. Gerade heute bleibt es wichtig, die Zeiten zu erkennen und richtig zu deuten, damit wieder neue Kreise entstehen und sich in Zukunft schließen können. Gegenwärtig erfordern weiter zunehmende gesellschaftliche Ansprüche und die Erderwärmung durch steigende Kohlendioxidkonzentrationen verstärkt neue Sichtweisen und Ansätze für die Wirtschaft ganz allgemein und im Umgang mit dem Wald im besonderen. (csb)
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